Transformation und Nachhaltigkeit – das sind große Begriffe, die in keinem Wahlkampf und keiner Imagebroschüre fehlen dürfen. Trotzdem hat man das Gefühl, in Deutschland läuft es eher schleppend mit messbaren Erfolgen. Wie erklärst du dir das?
In Unternehmen, NGOs und der Zivilgesellschaft ist das Engagement da. Das Problem ist weniger, dass die Menschen nicht wollen. Ich sehe das Problem in einem dichten Geflecht aus politischen und privaten Interessen sowie zahlreicher Regulierungsebenen. Das macht es schwer, das Richtige zu identifizieren und schnell zu erreichen.
Ein klassisches Beispiel dafür ist das Autofahren: Viele Menschen würden weniger fahren, brauchen aber eine echte Alternative, wenn sie beispielsweise auf dem Land leben. Dieses Problem zu lösen, greift in viele starke Interessen ein. Wie viel Zeit und Energie es kostet, so ein Geflecht aufzulösen, sieht man an den emotional geführten Debatten um das 9-Euro-Ticket. Deswegen braucht es neue Verfahren, gemeinsame Probleme auch gemeinsam zu lösen.
Was muss passieren, um das Transformationstempo zu erhöhen?
Wir müssen aus dem gelernten Antagonismus raus. Robert Habeck hat zu Beginn seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister gesagt: „Du kommst nicht schnell genug voran, wenn alle in ihren bestehenden Mustern bleiben.“
Nehmen wir die Windkraft: Hier dauert es heute bis zu neun Jahre von der Planung bis zur Fertigstellung einer einzigen Anlage. Wenn wir schneller und besser werden wollen, müssen wir alle, die ein Interesse an Veränderung haben, in gemeinsame Lösungen einbinden.
Wir haben deshalb einen Prozess entwickelt, um jeweils mit allen Stakeholdern einen Prozess für eine konstruktive Lösung zu finden. Alle Beteiligten verhandeln – geleitet durch uns als neutrale Instanz – über annehmbare Lösungen. Die liegen vielleicht unterhalb der jeweiligen Maximalziele, bieten aber konkrete Verbesserungen.
Wenn die Ziele festgelegt sind, definieren wir gemeinsam einen Lösungsweg und konkrete Meilensteine. Die werden von uns messbar gemacht und regelmäßig mit den Beteiligten überwacht.
“Transformation nach dem Prinzip Hausbau”
Das funktioniert wie bei einem Hausbau: Eigentlich können wir alle rechnen. Aber um ein Haus zu bauen, lassen wir die Statik doch lieber von einem Architekten berechnen. Und so jemanden brauchen wir für Transformationsprozesse – und dann für die Umsetzung auch einen Bauleiter, der auf die Einhaltung der einzelnen Schritte auf allen Seiten achtet.
Wie setzt ihr das im neu gegründeten „Zentrum für Nachhaltige Transformation“ um?
In einem unserer Projekte arbeiten wir für ein Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich und eine NGO, die grundsätzlich sehr unterschiedliche Ansichten vertreten, sich aber im Ziel einig sind: CO2 vermeiden, Energieverbrauch reduzieren, Abfall vermeiden.
Auf dieser Basis haben wir gemeinsam die Ziele, das Vorgehen und die Key Performance Indicators (KPIs) erarbeitet, die von uns als Zentrum in einem wissenschaftlich gestützten Verfahren monitort werden.
Zudem wird der Fortgang des Projekts so von uns dokumentiert, dass er von beiden Seiten zur Kommunikation genutzt werden kann – beispielsweise gegenüber Shareholdern oder anderen internen wie externen Anspruchsgruppen.
Wie geht ihr mit dem Ansatz auf die Organisationen zu?
Zunächst identifizieren wir mögliche Partner und versuchen dann, alle Seiten von den Vorteilen eines gemeinsamen Weges zu überzeugen – auch wenn dieser zunächst mühsamer erscheint. Viele Unternehmen sind für dieses Angebot dankbar.
“NGOs können zum Innovationsmotor werden”
Zum jetzigen Zeitpunkt haben Unternehmen zwei Optionen: Sie können versuchen, das, was noch vor zehn Jahren als gute Technologie oder Produkt galt, die nächsten Jahre zu verteidigen. Oder sie denken jetzt darüber nach, wie sie ein nachhaltiges und damit zukunftssicheres Angebot schaffen. NGOs können dabei ein zusätzlicher Innovationsmotor sein – und zwar nicht nur für Unternehmen, sondern eben auch für die eigenen Ziele.
Kommen wir zur Lehre an der Quadriga Hochschule. Was wird sich für unsere Studierenden beim Thema nachhaltige Transformation verändern?
Um das zu beantworten, zunächst ein Blick in die Praxis: Neulich habe ich mit einem großen Handelsunternehmen gesprochen, bei dem sich bisher zwei Leute in einer Stabstelle um Nachhaltigkeitsthemen kümmern. Das wird dort selbst als Problem gesehen. Denn das Wissen um nachhaltige Veränderung muss in die Breite, du brauchst dafür Leute in der Produktion, du brauchst welche im Marketing, im Verkauf, im Einkauf, in der Personalentwicklung – überall.
Wie das zu organisieren ist, darüber denken gerade viele Unternehmen nach. Das ist vergleichbar mit der Situation von vor 20 Jahren, als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass IT-Wissen in einer einzelnen Abteilung nicht ausreicht, um die neuen Möglichkeiten optimal zu nutzen.
“Der MBA ist das richtige Format, um Transformator:innen auszubilden”
Eine Hochschule ist genau richtig, um dafür einen Beitrag zu leisten – und ein MBA das richtige Format, weil darin Themen aus allen Wertschöpfungsbereichen diskutiert werden.
Wir werden uns verstärkt mit Fragen des Organisationsdesigns, mit KPI und – gemäß unseres Leadership-Verständnisses – einer ganzheitlichen kommunikativen Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Und natürlich auch damit, wie die verschiedenen Stakeholder für den Prozess gewonnen werden können.
Werden mit diesen neuen Anforderungen auch neue Jobprofile entstehen?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Jobs entstehen werden, die wir so noch gar nicht kennen. Hinter diesen ganzen Themen steckt eine veränderte Aufgabenstellung für Corporate Affairs im weitesten Sinne.
Wie bereits erwähnt: Das Ziel ist bei Nachhaltigkeitsthemen in der Regel klar, der Weg dahin aber nicht – und damit auch nicht, welche Auswirkungen sich dadurch ergeben können. Es geht ja nicht nur um neue Jobs: Viele Menschen fragen sich auch, ob sie ihren Job verlieren könnten.
“Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die zwei, drei Schritte weiterdenken”
Die Legitimität für notwendige Veränderungen herzustellen, verlangt also auf allen Ebenen sehr umsichtige Kommunikation – was in der jetzigen Lage mit multiplen Krisen nochmal komplexer wird. Da braucht es Führungspersönlichkeiten, die zwei, drei Schritte weiterdenken.
Wie gehen Führungspersönlichkeiten diese Herausforderung an?
Es geht darum, frühzeitig Interessen und Sorgen in Erfahrung zu bringen, um einen gemeinsamen Weg definieren zu können. Das allein ist schon eine riesige Aufgabe. Auf diesem Weg auch noch NGOs mit ihrer Expertise und ihren Ansprüchen einzubinden, macht das sicher nicht leichter. Aber nochmal: Es ist dieser gelernte Antagonismus, den es zu überwinden gilt.
“Konkrete Handlungen sind der Schlüssel”
Das kann nur funktionieren, wenn auch daran gearbeitet wird, intern wie extern konkrete Handlungen einzuleiten. Für solche Aufgaben sehe ich Leute mit einem MBA als prädestiniert an, weil sie das Wissen aus den verschiedenen Unternehmensbereichen haben – und die Kompetenz besitzen, solche Prozesse zu steuern.
Mehr Information zum Zentrum für Nachhaltige Transformation (ZNT)
Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft ist ebenso notwendig wie schwierig. Eine Voraussetzung für die Bewältigung dieser Jahrhundertaufgabe ist die bessere Kooperation zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.
Dazu hat die Quadriga Hochschule im Frühjahr 2022 das Zentrum für Nachhaltige Transformation (ZNT) gegründet. Das ZNT forscht, berät, bildet aus und bietet Studien und Lösungen für die konkrete und nachhaltige Umsetzung der Transformation – sowie Prozesse, um die Vorhaben schneller zu realisieren.
Zum Angebot gehören Lösungen wie zum Beispiel:
- …für die Kooperation zwischen Initiativen und Unternehmen, damit sie gemeinsam Probleme lösen können, ohne die eigenen Interessen und Ziele aufzugeben, zum Beispiel mit einer Methodik für einen transparenten Prozess der Zusammenarbeit zwischen NGOs und Unternehmen und messbaren Erfolgen (Prozess-Mediation)
- …für die Mobilisierung der Mitarbeiter:innen, um sie für die Transformation zu gewinnen und soziale Härten zu vermeiden, zum Beispiel bei dem laufenden, komplexen Umbau etablierter Industrieunternehmen
- …um die Effizienz und Effektivität der Transformation von Unternehmen zu verbessern, vor allem bei der Integration von Transformations-Wissen und entsprechender Fähigkeiten in alle Unternehmensbereiche und Arbeitsprozesse
- …um Führungskräfte für die neuen, komplexen Aufgaben auszubilden, von der MBA-Ausbildung über Qualifizierung bis zum Coaching
- …um Best Practices zu ermitteln und rasch anzuwenden, zum Beispiel durch umfassende Vergleichsstudien zu den Erfolgsfaktoren der Transformation
Kontakt
Zentrum für Nachhaltige Transformation (ZNT)
Quadriga Hochschule Berlin
Werderscher Markt 13, 10117 Berlin
Geschäftsführer: Prof. Dr. Torsten Oltmanns
Mail: Torsten.Oltmanns@quadriga.eu
Telefon: +49 170 74 44 44 2
Prof. Dr. Torsten Oltmanns ist Professor für Volkswirtschaftslehre und angewandte Wirtschaftspolitik an der Quadriga Hochschule und leitet als Direktor das 2022 gegründete Zentrum für nachhaltige Transformation (ZNT).
Von 2020 bis 2022 beriet Oltmanns als Managing Partner bei Gauly Advisors Unternehmen in Fragen von Strategie und strategischer Kommunikation, Transformation und in Sondersituationen. Zuvor leitete er die globale Marketing-Kommunikation bei Roland Berger und baute die erste Kommunikationsberatung innerhalb einer Top-Consultancy auf.
Zu seinen weiteren beruflichen Stationen gehört die Leitung der Stäbe für „Reform-Management“ und „Controlling“ im Bundesministerium der Verteidigung, sowie Tätigkeiten als Prokurist bei „Haniel & Cie“ und als Mitglied der Geschäftsleitung bei „Booz Allen Hamilton“ tätig. Zudem baute er eine professionelle Kommunikation für McKinsey Deutschland auf.
Darüber hinaus ist Prof. Dr. Torsten Oltmanns Lehrbeauftragter für “Marketing & Kommunikation” an der Universität Innsbruck und “Visiting Fellow” der Universität Oxford. Er promovierte im Jahr 2012 an der Universität Innsbruck, die ihn im selben Jahr auch zum Honorarprofessor ernannte.
Torsten Oltmanns studierte Volkwirtschaft an der Universität zu Köln und wurde parallel dazu an der Kölner Journalistenschule zum Redakteur für Wirtschaft und Politik ausgebildet.