Hessen hat 2019 als erstes Bundesland ein eigenes Digitalministerium eingeführt. Was konnten Sie bisher als Ministerin für Digitale Strategie & Entwicklung erreichen?
Es war gut und richtig, dass die Hessische Landesregierung 2019 entschieden hat, ein eigenes Digitalministerium zu gründen. Ausgestattet mit einem Digitalbudget in Höhe von 1,2 Milliarden Euro steuern wir so in bundesweit einmaliger Form die Digitalisierung eines Bundeslandes. Ein wesentlicher Teil des Geldes wird in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investiert, denn eine leistungsfähige Infrastruktur in Stadt und Land ist die Basis für Innovation, digitale Bildung und Forschungsexzellenz.
Mithilfe digitaler Vernetzung können wir so auch in Zeiten fehlender physischer Nähe sozial in Kontakt bleiben. Im ersten Jahr haben wir eine gut funktionierende Organisation aufgebaut, die uns in Hessen helfen wird, die Digitalisierung schneller und zielführender umzusetzen. Gerade in Zeiten von Corona wird die Digitalisierung einen neuen Schub erhalten. Sie ist der Katalysator für die Zukunft und Hessen ist dafür gut aufgestellt.
Welche Auswirkungen der Corona-Krise nehmen Sie in Ihrer Funktion als Staatsministerin wahr?
Wie wichtig eine funktionsfähige digitale Infrastruktur ist, zeigt sich derzeit besonders. Diese sichert nicht zuletzt die technische Möglichkeit für das Home-Office für etliche hessische Bürgerinnen und Bürger. Die Hessische Landesregierung hat sich seit jeher für Home-Office-Lösungen stark gemacht, daher sind wir aktuell in einer sehr guten Position und können vielen Beschäftigen der Landesregierung diese Möglichkeit anbieten und auch deren familiäres Umfeld berücksichtigen.
Damit ältere und pflegebedürftige Menschen in Kontakt mit ihren Angehörigen bleiben können haben wir den Pflege- und Alteneinrichtungen 10.000 Tablets zur Verfügung gestellt. Es gilt, die Zukunft mit der Digitalisierung als integralem Bestandteil und nicht als Fremdkörper zu gestalten.
Auf welche digitalen Lösungen können sich die Menschen in Hessen in naher Zukunft außerdem freuen?
Digitale Infrastruktur war der Bereich, den wir als allererstes in den Mittelpunkt unserer operativen Arbeit gestellt haben, denn er ist Basis für alle weiteren Anwendungen. Unser Ziel ist es, bis 2025 flächendeckend Gigabitanschlüsse bereitzustellen. Schulen, Krankenhäuser und Gewerbegebiete werden weitgehend bis 2022 angebunden sein.
Mit Distr@l haben wir zudem ein neues Förderinstrument etabliert, das im Dezember 2019 gestartet ist und inzwischen auf mindestens 80 Millionen Euro in den kommenden Jahren erhöht wurde. Mit unserer Geschäftsstelle ,Smarte Region‘ unterstützen wir hessische Kommunen auf ihrem Weg der Digitalisierung mit Transfer- und Informationsangeboten.
Ende August 2020 haben wir auch die Förderung für ein Hessisches Zentrum für Künstliche Intelligenz bekanntgegeben, das wir mit 38 Millionen Euro unterstützen und dafür 20 zusätzliche KI-Professuren einrichten. Grundsätzlich ist mir der Aspekt des verantwortungsbewussten Umgangs mit digitalen Lösungen sehr wichtig, denn die Digitalisierung muss dem Menschen nützen – und nicht umgekehrt.
Neben dem Zentrum für verantwortungsbewusste Digitalisierung haben wir den Rat für Digitalethik einberufen, der ethische Fragen der Digitalisierung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erörtert und Empfehlungen ausspricht.
Nach der Bundestagswahl 2017 ist auf Bundesebene noch kein Digitalministerium gegründet worden. Sollte Deutschland nach der Wahl 2021 mit einem staatlichen Ministerium dem hessischen Beispiel folgen?
Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen würde ich dies begrüßen. Wir haben in Hessen eine klare Strategie auf den Weg gebracht und verfügen über eine Bündelungs- und Querschnittsfunktion, mit der wir alle Aktivitäten zum Ausbau, zur Finanzierung und zur Regulierung der digitalen Infrastruktur zusammenfassen konnten.
Damit steuern wir, welche Projekte künftig sinnvoll in Hessen umgesetzt werden und bündeln über alle Ministerien hinweg Themen, um damit zielführend die Zukunft der Digitalstrategie Hessens zu entwickeln. Hier sind wir aktuell in einem breiten und öffentlichen Beteiligungsprozess.
Abgesehen von einem Ministerium, welche Schritte braucht es in Deutschland, um auf digitaler Ebene zukunftsfähiger zu werden?
Unternehmen, die ihre Geschäfte im Wesentlichen bereits im virtuellen Raum abwickeln, können in diesen Zeiten wirtschaftlich besser operieren. Wir befassen uns daher auch mit der Frage, wie wir unsere Gesellschaft in Zukunft resilienter machen können, also krisenfester gegenüber künftigen Ereignissen – seien es Pandemien oder beispielsweise auch klimabedingte Krisen.
In praktisch allen Bereichen können wir die Resilienz dank der Nutzung von Technologien, insbesondere mittels digitaler Vernetzung und Anwendung digitaler Lösungen nachhaltig stärken. Daher müssen wir aus den jetzigen Erkenntnissen der Krise lernen, wie wir unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme in Zukunft widerstandsfähiger gestalten.
Welche Rolle spielt die akademische Ausbildung bei der digitalen Zukunftsfähigkeit Deutschlands?
Aus- und Weiterbildung spielt insgesamt eine extrem wichtige Rolle – nicht nur akademisch. An dieser Stelle ist mir wichtig zu betonen, dass die fachliche Bildung generell vorangetrieben werden muss. Diese Schnittstelle darf nicht nur akademisch sein, sondern muss übergreifend auch Handwerk, Berufsschulen und Schulen einbeziehen.
Wir haben gerade eine entsprechende Kampagne gestartet, um Bürgerinnen und Bürger für mehr Eigeninitiative beim Erwerb digitaler Kompetenzen zu motivieren. Unter Unter www.wie-digital-bin-ich.de kann man die eigenen digitalen Kompetenzen mithilfe eines Tests selbst einschätzen und dem Testergebnis entsprechend geeignete Angebote im Bereich Außen-, Fort- und Weiterbildung angezeigt bekommen.
Aus Ihrer Perspektive als Ministerin und Professorin – Welchen Tipp würden Sie den Führungskräften der Zukunft ganz konkret mit auf den Weg geben?
Setzt mehr verschiedene Brillen auf, um auf ein Thema zu schauen. Wir müssen gerade bei Themen wie Digitalisierung und Technik integrativ und interdisziplinär denken – und nicht mit Scheuklappen. Kommunikation und Interdisziplinarität sind zwei immer wichtiger werdende Eckpfeiler.
Zu Prof. Dr. Kristina Sinemus
Prof. Dr. Kristina Sinemus hat an der Quadriga Hochschule Berlin eine Professur* für Public Affairs & politische Kommunikation inne. Seit Januar 2019 ist sie als Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung (zur Website des Ministeriums) im Amt und leitet damit das deutschlandweit erste Ministerium dieser Art.
*Die Professur von Prof. Dr. Kristina Sinemus ruht während ihrer Tätigkeit als Ministerin.
Dr. Kristina Sinemus ist Professorin für Public Affairs & politische Kommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Seit Januar 2019 ist sie als Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung im Amt und leitet damit das deutschlandweit erste Ministerium dieser Art.
Seit 1998 ist sie zudem geschäftsführende Gesellschafterin der genius science and dialogue GmbH. Prof. Dr. Kristina Sinemus studierte Biologie, Chemie, Kommunikationswissenschaft und Pädagogik in Münster und Kassel. Von 1991 bis 1995 lehrte und forschte Dr. Sinemus am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) der Technischen Universität Darmstadt wo sie 1995 mit einer interdisziplinären Arbeit promoviert wurde.
Seit 1993 arbeitet Frau Dr. Sinemus als freie Strategieberaterin an der Schnittstelle Kommunikation und Wissenschaft/Technik für Kunden wie Hoechst AG, Verband der deutschen Ölmühlen e.V., BMBF, Wella AG, die Europäische Union, Zoetis Tiergesundheit oder WWF.
Zwischen 1993 und 1998 war sie für verschiedene interdisziplinäre Themen wie “Technikfolgenabschätzung neuer Technologien”, “Ethik und Technik” und “Ethische Entscheidungsprozesse in Unternehmen am Beispiel von Technikthemen“ Lehrbeauftragte an der TU Darmstadt. 1998 gründete sie die genius GmbH. Sie ist ausgebildete Mediatorin, Großgruppenmoderatorin und zertifizierter Coach.
Seit 2000 ist Dr. Sinemus Vizepräsidentin des “Vereines Hessen-Wisconsin” und dort für den Bereich Wirtschaftsbeziehungen zuständig. Seit 2004 ist sie Mitglied der Vollversammlung der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar und Vorsitzende des Ausschusses für Standortmarketing. Ab 2009 war Sinemus Vizepräsidentin der IHK Darmstadt und 2014 wurde sie zu einer der wenigen IHK PräsidentInnen in Deutschland gewählt. Sie ist zudem im Vorstand des DIHK und Beiratsmitglied der Frankfurt Rhein Main Marketing Initiative sowie Kuratoriumsmitglied der ENTEGA AG und Mitglied der DGPuK.