2020 ist für uns alle bewegendes Jahr. Wenn man für die Gastronomiebranche tätig ist, gilt das sicher umso mehr. Was war aus deiner Sicht als Lobbyistin die größte Herausforderung?
Ganz unabhängig von meiner Arbeit bei der METRO sind mit den Entwicklungen im Frühjahr einfach jegliche Timings für politische Interessenvertretung über den Haufen geworfen wurden – das galt damals für fast alle Branchen. Normalerweise weiß man ungefähr, wann eine Meinungsbildung stattfindet oder eine Entscheidung getroffen wird, aber die Dynamik der ersten Welle hat das komplett verändert.
Das Stresslevel war auch für die Ministerien hoch, die ja nicht auf einmal mehr Mitarbeiter*innen hatten, aber von tausenden Anfragen überwältigt wurden. Da die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt zu bekommen, um seine Punkte zu setzen, war eine große Herausforderung. Eigentlich musste man Lobbying komplett neu denken.
„Eigentlich musste man Lobbying komplett neu denken.“
In der öffentlichen Diskussion hat sich schnell eine Polarisierung zwischen Schutz der Gesundheit und Schutz der Wirtschaft entwickelt, die so nicht nötig gewesen wäre. Der Wirtschaftsbegriff war häufig sehr unscharf, das habe ich auch im Interview mit Hajo Schumacher gesagt. Aber dahinter verbergen sich eben nicht nur Großkonzerne, sondern auch Solo-Selbstständige wie die Yoga-Lehrerin oder der Café-Betreiber um die Ecke.
Die Wirtschaft war in der Wahrnehmung jedoch ein Block, der eher negativ konnotiert war – genauso wie das Lobbying dann natürlich selbst. Plötzlich kam es zu einem Wunschkonzert. Da ging dann teilweise auch unter, dass es darum geht, denen zu helfen, die tatsächlich leiden. Hier den richtigen Ton zu treffen, um auf die eigene Notlage aufmerksam zu machen und Lösungsvorschläge einzubringen, ohne den Blick für das große Ganze in der Pandemie zu verlieren, ist nach wie vor die größte Herausforderung.
Wie gelingt das denn – was sind deine Lehren aus dieser Zeit?
Im ersten Shutdown haben wir zunächst mal alle langfristigen Gesetzesvorhaben liegen lassen und alles, was nicht direkt mit den Kund*innen zu tun hatte. Dass wir die Transformation zum reinen Großhändler vorher schon eingeleitet hatten, war bei dieser Fokussierung hilfreich – und die Krise hat dann für einen echten Boost an Kreativität gesorgt.
Wir haben unseren Ideen freien Lauf gelassen und weitere Mitstreiter*innen aus dem ganzen Ökosystem gefunden, mehr Kampagnen gestartet und alles sehr kurzfristig implementiert. Wir sind als Vermittler der Gastronomiebranche lauter geworden, als METRO selbst aber im Hintergrund geblieben – unser Logo haben wir beispielsweise nur sehr selten platziert. Vor allem, weil es um die Sache gehen soll – und wir nicht in Richtung Marketing abdriften wollten.
„Wir haben vor allem in Lösungen gedacht. Nur leere Tische und permanent dramatische Zahlen zu präsentieren, bringt aus unserer Sicht irgendwann wenig.“
Und gerade haben wir ja über den Ton gesprochen: Wir haben vor allem in Lösungen gedacht. Nur leere Tische und permanent dramatische Zahlen zu präsentieren, bringt aus unserer Sicht irgendwann wenig. Es geht auch nicht nur um einen finanziellen Ausgleich, sondern darum, mit diesem starken Gastronomie-Netzwerk ein langfristiges Konzept zu erarbeiten, mit dem eine achtsame Öffnung wieder realistischer wird und die Menschen Vertrauen finden.
Dazu gehört aber auch eine gewisse Verlässlichkeit auf beiden Seiten. Dass trotz der ganzen Investitionen in Außenkonzepte inklusive der Heizpilze wieder alle Gastronomien geschlossen wurden, ist – bei allem Verständnis – nicht gut für das Vertrauensverhältnis zur Politik gewesen. Denn im Vergleich zu dem, was offenbleiben durfte, ist die Gastronomie ja quasi als irrelevante „Freizeitaktivität“ eingestuft worden. Das war für viele Gastronomen auch ein Schlag ins Gesicht. Trotzdem bleibt das Learning: Es ist die Zeit der Lösungen und nicht die der reinen Interessenvertretung – dann darf man auch etwas lauter sein. Blicken wir auf das große Ganze.
Was stimmt dich optimistisch für die Bewältigung der Pandemie und damit auch der wirtschaftlichen Krise?
Das Gemeinschaftsgefühl erlebt derzeit einen echten Stresstest, die gesellschaftliche Polarisierung scheint sehr stark. Meine Hoffnung ist, dass wenn Erfolge sichtbar und weitere Lösungswege erkennbar werden, auch wieder das Vertrauen in die Politik und die gemeinschaftliche Bewältigung gestärkt wird. Der Impfstoff und entsprechende Vergabestrategien werden da sicherlich eine sehr wichtige Rolle spielen.
Einiges haben wir auch bereits erfolgreich bewältigt. In der digitalen Entwicklung wurde beispielsweise ein großer Sprung gemacht, der unter anderem zu einer tragfähigen Homeoffice-Kultur und überall zu innovativen Konzepten in den diversesten Branchen geführt hat. Gerade bei uns im Team durfte ich erleben, wie progressiv und flexibel die Menschen in solchen Situationen reagieren. Da muss auch nicht immer alles perfekt sein – Hauptsache, man probiert und macht.
„Als Gesellschaft sollten wir uns bewusster machen, was wir schon alles gelernt und erreicht haben während dieser Zeit.“
Als Gesellschaft sollten wir uns bewusster machen, was wir schon alles gelernt und erreicht haben während dieser Zeit. Dann kann man auch optimistischer darauf blicken, wo noch nachgesteuert werden muss – ob das nun die Revitalisierung der Kultur oder die der Gastronomie ist. Solidarität ist da ein Faktor, der am Ende wichtiger sein wird als einzelne finanzielle Spritzen durch die Politik. Wir werden das hinbekommen. Jeder Schritt ist eine Herausforderung, aber es gibt für jede Herausforderung eine Lösung – daraus schöpfe ich meinen Optimismus.
Kommen wir zur Quadriga Hochschule: Seit kurzem bist du Mentorin und wirst demnächst deinen ersten Mentee bekommen. Warum engagierst du dich in dieser Funktion?
Ich selbst habe sehr von Mentorings profitieren dürfen. Dadurch konnte ich in vertrauensvoller Atmosphäre an meinen Stärken und Schwächen arbeiten oder hatte einfach mal jemanden mit einem frischen Blick auf eine Problemstellung. Meiner Entwicklung hat das sehr geholfen. Deswegen unterstütze ich gerne auch andere Personen auf ihrem Weg – ob es nun auf fachlicher Ebene ist, Karrierefragen sind oder vielleicht auch mal was Persönliches.
Dieser gemeinsame Prozess in einem Mentoring, auf den freue ich mich richtig! Ich werde ja nicht einfach ein Paket an Lösungen weitergeben, sondern gemeinsam mit dem Mentee an den Herausforderungen arbeiten. Das kann auch mal dazu führen, dass sich weitere Netzwerke öffnen und man mit anderen ins Gespräch kommt.
Als Mentorin die Vertrauensperson für verschiedene Karriereaspekte zu sein, das macht mir große Freude. Umso spannender ist, dass ich noch nie einen Mentee außerhalb der METRO hatte. Auch ich werde im Mentoring wieder vieles lernen – und hoffe, dass mein Mentee hinterher das gleiche sagt.
Beim digitalen Studienstart warst du bereits dabei. Wie war dein Eindruck?
Für mich war es das erste Mal bei einem Studienstart, deswegen kann ich nicht vergleichen zwischen dem digitalen Studienstart und einem vor Ort in Berlin, aber ich bin total positiv überrascht gewesen von der diversen Gruppe – die neuen Studierenden sind aus ganz unterschiedlichen Organisationen, Alters- und eben auch Karrierestufen.
Aus Sicht der Studierenden gab es vielleicht eine kleine Träne zu verdrücken, denn wenn man sich noch gar nicht kennt, ist eine persönliche erste Begegnung schon was anderes. Aber durch das Format der wechselnden digitalen Stehtische gab es einen sehr vielfältigen und dynamischen Austausch.
Von Karrierefragen über Persönliches bis zu spezifischen Fachfragen war alles dabei. Das hat, so mein Eindruck, allen richtig Spaß gemacht. Und gemeinsam angestoßen wurde später auch, wie ich gehört habe. Ich freue mich jedenfalls schon auf die weiteren Gespräche – ob im Mentoring oder beim nächsten Studienstart.
Ivonne Julitta Bollow studierte Politikwissenschaften und Osteuropastudien an der Universität Hamburg. Ihre berufliche Laufbahn startete sie als Referentin des Koordinators für die deutsch-russischen zwischengesellschaftlichen Beziehungen, MdB Dr. Andreas Schockenhoff, im Auswärtigen Amt. Anschließend war sie als persönliche Referentin des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der NATO, MdB Dr. Karl A. Lamers, im Deutschen Bundestag tätig. 2013 kam sie als Managerin der Interessenvertretung für Mittel- und Osteuropa zur METRO AG. 2015 übernahm Ivonne Julitta Bollow die Abteilung Internationale Beziehungen im Bereich Corporate Public Policy. Seit 2018 leitet sie als Global Director Corporate Public Policy die politische Interessenvertretung und Außenbeziehungen der METRO AG.