Der gegenwärtige Rechtsraum für kommunale Unternehmen ist unsicher und steht einer modernen, datenbasierten Daseinsvorsorge entgegen. Die EU strebt eine europäische Datenwirtschaft als wichtigen Binnenmarktgedanken an und will mit einer neuen Richtlinie diese Unsicherheit beheben. Doch was heißt das für die kommunalen Unternehmen und deren Umgang mit Daten? Die Quadriga Hochschule mit Prof. Dr. Mario Voigt ist dieser Frage in Kooperation mit dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) nachgegangen.
Wenn Bürger den öffentlichen Nahverkehr nutzen, oder zuhause das Licht anmachen, entstehen Daten. Anonymisiert stehen sie den kommunalen Unternehmen zur Verfügung. Doch sollen diese Daten per Datengesetz bei Google landen oder von kommunalen Stadtwerken vertrauensbildend bewirtschaftet werden? Die Menge der Daten erfährt durch Internet der Dinge und Smart City einen deutlichen Zuwachs und wird sich weiter steigern, sodass sich Daten zu einem wichtigen und wertvollen Wirtschaftsgut entwickeln. Auch kommunale Unternehmen verfügen über unzählige Daten, die für ihre Aufgabenerfüllung wesentlich sind. Ihr sicherer Austausch und die einfache Verbindung in Wertschöpfungsnetzwerken sind Voraussetzung für Smart Regions, innovative Leistungsangebote für die Bürger und automatisierte Geschäftsprozesse.
Doch der gegenwärtige Rechtsraum für kommunale Unternehmen ist unsicher, teils widersprüchlich und steht einer modernen, datenbasierten Daseinsvorsorge entgegen. Das betrifft konkret die Richtlinie über Open Data und zur Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie) oder das Gemeindewirtschaftsrecht. Dadurch werden kommunale Unternehmen derzeitig nicht zu gleichwertigen Akteuren der Digitalwirtschaft befähigt und Potenziale z.B. mit Hinblick auf die Entwicklung von Smart Cities und Smart Regions bleiben ungenutzt.
Für ihre Rolle als Datenproduzent, -bereitsteller oder -verwerter stellt rechtliche Klarheit und die Eröffnung neuer Potenziale eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung dar. Will man digitale Dienstleistungen und Daten in Einklang bringen, sind jedoch Ansätze wie die X-Road in Estland oder Standardisierungsansätze wie in Österreich oder Schweden nötig. Eine Referenzarchitektur für Vernetzung von lokalen Daten ist notwendig, die Schnittstellen, Sicherheitsanforderungen und Protokolle definiert. Die Gestaltung des Level playing field der Datenbewirtschaftung durch die Bundesregierung bedarf eines stärkeren Fokus auf die besondere Stellung von kommunalen Unternehmen, als gemeinwohlorientierten Versorgern und gleichzeitig Akteuren im marktwirtschaftlichen Wettbewerb.
Drei Empfehlungen werden in der Studie für eine datenbasierte moderne Daseinsvorsorge formuliert:
1. Schaffung eines bundesweiten Public Data Space
Ein bundesweiter “Public Data Space” könnte als Plattform und Architekturentwurf für dezentralen Datenaustausch zwischen vertrauenswürdigen kommunalen Akteuren und möglichen privatwirtschaftlichen Unternehmen dienen, welche bereits auf kommunaler (Urban Data Spaces) oder sektoraler (z. B. International Data Spaces) Ebene digital miteinander vernetzt sind. Als ein bundesweit zugängliches System aus Konzepten, Verfahrens- und Rechtsvorschriften, Sicherheitsvorgaben, technischen Standards sowie einer Infrastruktur, wird die Nutzung von Daten für die digitale Daseinsvorsorge in einem Datenraum mit klaren Standards und Gemeinsamkeiten strukturiert. Diese Initiative würde die besondere Rolle kommunaler Unternehmen und ihre Funktion für die digitale Daseinsvorsorge berücksichtigen und dabei helfen Potenziale zu heben.
2. „Public Data German Standard“ als Qualitätssiegel und moderner, kommunaler „Daten-TÜV“
Ein Qualitätssiegel „Public Data German Standard“ könnte den konzeptionellen Rahmen geben, um urbane Datenräume in der deutschen und europäischen Datenwirtschaft, strategisch effektiv zu positionieren. Unter „Public Data German Standard“ ist eine grundlegende, genormte digitale Architektur zu verstehen, inklusive technischer, ökonomischer und rechtlicher Anforderungen. Einheitliche Standards „Public Data German Standard“ könnten vor allem auch kommunalen und mittelständischen Unternehmen einen Rahmen geben, in die sie ihrer Rolle als Rückgrat der Wirtschaft gerecht werden können. Einheitliche Standards senken zudem Transaktionskosten, in dem sie Unsicherheit bezüglich gesetzlicher Rahmenbedingungen und zukünftiger Investitionen in datenbasierte Projekte beseitigen.
3. Ausgestaltung der PSI-Richtlinie in Europa und Deutschland aktiv angehen
Die Interpretation und weitere Ausgestaltung der PSI-Richtlinie durch die Bundesregierung ist zentral, um die aktuelle Dynamik im Wettbewerb um Standards zu nutzen und Konkretisierung des Regulierungsrahmens aktiv mitzugestalten. Daten, welche die Daseinsvorsorge erschließen und den kommunalen Unternehmen wirtschaftliche Betätigung in digitalen Geschäftsfelder ermöglichen, rücken dabei in den Fokus. Eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Richtlinie in Bezug auf öffentliche Unternehmen auf europäischer Ebene ist dabei zentral, um die konsequente Nutzung von Daten in einem gestuften Verfahren auf nationaler Ebene zu ermöglichen.
Die Studie
Die Studie „Digitale Daseinsvorsorge“ wurde von der Quadriga Hochschule Berlin im Jahr 2019 unter Leitung von Prof. Dr. Mario Voigt durchgeführt und untersucht die sinnvolle Nutzung und Hebung kommunaler Datenbestände. Sie basiert auf Analyse von Best Practice in Europa, Desk Research und Interviews mit Unternehmen, Institutionen und Verbänden in Deutschland. Zum direkten Download der Studie kommen Sie in unserem Forschungsbereich für Digital Public Affairs.