Die Customer Experience (CX) entwickelt sich in vielen Märkten zum wesentlichen Wettbewerbsfaktor – diese Erkenntnis setzt sich durch. In unserer aktuellen Studie „Marketing 2020“ haben wir daher gefragt, wer im Unternehmen das CX-Management übernimmt, und auch analysiert, wie gut die Marketing-Teams auf diese Aufgabe vorbereitet sind.
Wenn ein Konzept plötzlich allerorten als Königsweg zum Erfolg gepriesen wird, schrillen bei mir sofort die Alarmglocken, denn es gibt immer mehr als einen Weg. Aber beim Thema Customer Experience freue ich mich über die große Aufmerksamkeit, die es neuerdings erfährt. Wer CX-Management ernst nimmt, muss Silos aufbrechen und Funktionen wie Produktmanagement, Pricing, Vertrieb, Kommunikation und Service in eine konsistente Strategie integrieren, die konsequent vom Kunden aus gedacht und entwickelt ist.
CX-Management ist die Durchsetzung eines holistischen Marketing-Konzepts.
Und wenn Sie jetzt denken, „das sind doch die klassischen 4 P des Marketing-Mix?!“, haben Sie Recht. Das CX-Management könnte die Renaissance – oder vielleicht ehrlicher: endlich die Durchsetzung – eines holistischen Marketing-Konzepts bedeuten. Also genau das tun, was seit langem gefordert wird, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Märkten zu sichern, in denen die Digitalisierung Kräfteverhältnisse und Spielregeln verändert hat – und damit unser aller Verhalten als Kunden und Konsumenten.
Fahren Sie noch von Geschäft zu Geschäft, um genau das passende Produkt zu finden?
Oder googlen Sie, um zunächst einmal herauszufinden, wie die perfekte Lösung für Ihr Problem aussieht und wo Sie sie bekommen? Vielleicht fragen Sie in Ihren WhatsApp-Gruppen oder vertrauen auf Empfehlungen auf Instagram oder Twitter? Haben Sie schon Detailfragen an Unternehmen geschickt und waren beeindruckt, wie schnell und individuell die Antwort war, obwohl Sie dort noch gar kein Kunde waren? Waren Sie schon einmal enttäuscht, weil Produkt oder Service den guten Eindruck nicht bestätigt haben? Das CX-Management sorgt dafür, dass Unternehmen dort investieren, wo Nutzen und Wert für Interessenten und Kunden entsteht. Das schließt eine markenbildende Kommunikation übrigens ein.
Kundenerwartungen und -bedürfnisse als gemeinsame Leitschnur helfen, die interne Zusammenarbeit zu koordinieren – und auch zu versachlichen.
In unserer aktuellen Marketing-Studie haben wir erstmals gefragt, ob es eine dedizierte Funktion „Customer-Experience-Management“ in der Organisation gibt. Nur bei 20 Prozent ist das bereits der Fall. Nur 11 Prozent der befragten Unternehmen haben die Verantwortung für das Customer-Experience-Management der Marketing- bzw. Vertriebsleitung unterstellt.
Oft gibt es eine eigene Organisationseinheit „Customer-Experience-Management“, häufig werden Customer Experience und User Experience gleichgesetzt, was das Risiko beinhaltet, dass sich der Blick auf die Gestaltung digitaler Interfaces verengt. Die Zuordnung zum Customer Service wiederum verkennt, dass die Experience mit dem ersten Marken- oder Produktkontakt beginnt – oft an einem Kontaktpunkt, der dem Unternehmen gar nicht „gehört“.
Wem „gehört“ die Customer Experience?
Es spricht also viel dafür, die Verantwortung für das Customer-Experience-Management dort zu verankern, wo nicht nur eine umfassende Analyse von Customer Journeys möglich ist, sondern integrierte Strategien zum CX-Management sowohl entwickelt, als auch durchgesetzt werden können. Eine Marketing-Abteilung, die auf strategischer Ebene nur wenig Einfluss hat – und das sind laut unserer Studie fast die Hälfte der Marketing-Teams – ist tatsächlich nicht der richtige Ort. Viele Marketing-Einheiten sind ausschließlich für Marketing-Kommunikation zuständig. Für CX-Management fehlt ihnen das passende Kompetenzprofil. Trotzdem sollten Unternehmen prüfen, ob sie nicht besser ihre Marketing-Einheit repositionieren sollten, als mit einer eigenen Abteilung „Customer-Experience-Management“ weitere Schnittstellen mit den dazugehörigen Herausforderungen zu schaffen.
Die von uns befragten Marketing-Manager sehen den Nachholbedarf, den ihre Teams im strategisch-konzeptionellen Bereich haben.
Sie schätzen die Kompetenz in strategischem Multi-Channel-Marketing zu 86 Prozent als künftig wichtig oder sehr wichtig für das Marketing ein. 85 Prozent sind bezogen auf Customer Journey und Customer Experience Management dieser Ansicht. Bei Geschäftsmodell- und Service-Innovationen sehen dies immerhin noch 70 Prozent so. Auch neue Formen der Zusammenarbeit stufen drei von vier der Befragten als künftig erfolgskritisch ein. Nur jeweils knapp die Hälfte der Marketing Manager gibt an, dass ihr Teams über diese Fähigkeiten bereits verfügt, zwischen 35 Prozent und 47 Prozent planen, das jeweils notwendige Know-how in den nächsten zwei Jahren aufzubauen.
Die Bedeutung von Technologie-Kompetenz wird weiterhin unterschätzt.
Nur 63 Prozent halten Marketing-Prozess-Automatisierung für erfolgskritisch. Überraschenderweise geben insgesamt 70 Prozent an, die Kompetenz bereits zu besitzen oder sie demnächst aufbauen zu wollen. 55 Prozent stufen automatisierte Interaktion wie zum Beispiel mithilfe von Chatbots als nicht relevant ein. 51 Prozent haben nicht vor, zeitnah Know-how zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Marketing aufzubauen. Die Fähigkeit, Technologie-Dienstleister auszuwählen und zu steuern halten nur 49 Prozent der Befragten für wichtig.
Mit dem Anspruch, die Verantwortung für die Customer Journey und die Customer Experience übernehmen zu wollen, passt diese Zurückhaltung nicht zusammen. Ohne intelligente Automatisierung von Prozessen und Content-Erstellung wird man die wachsenden Erwartungen von Kunden und Konsumenten an kontextsensitive, individualisierte Echtzeitkommunikation nicht erfüllen können. Es ist absolut nachvollziehbar, dass Marketing-Teams angesichts wachsender Anforderungen pragmatisch auf das fokussieren, was heute unzweifelhaft relevant ist. Als Trendscout und Sparringspartner für strategische Diskussionen nehmen sie sich so aber selbst aus dem Spiel.
Die Studie
Die Quadriga Hochschule Berlin hat die Untersuchung „Marketing 2020: Innovationstreiber oder Follower?“ im Sommer 2019 als Online-Befragung durchgeführt. Zur Teilnahme waren Berufstätige aus dem Marketing-Management innerhalb der DACH-Region eingeladen. Insgesamt haben 1249 Marketing-Manager – überwigend in Führungspositionen – an der Studie teilgenommen.
Fordern Sie den vollständigen Bericht zur Berufsfeldstudie „Marketing 2020“ an!
Darin untersuchen wir auch die organisatorische Einbindung des Marketings ins Unternehmen, Ressourcenausstattung und Budgetentwicklung und viele andere Aspekte mehr.
Andrea Kindermann ist als selbstständige Beraterin für Marketing und Digitale Transformation tätig und gehört zum Beraternetzwerk „Das 18te Kamel & Komplizen – Sozietät für Digitale & Soziale Transformation“ (www.18teskamel.de). Ihr Spezialgebiet sind strategische und technologiegetriebene Marketinginnovationen. Aktuell beschäftigt sie sich vor allem mit neuen Automatisierungsmöglichkeiten durch Machine Learning und künstliche Intelligenz.
Andrea Kindermann hat als Beraterin und Organisationsentwicklerin unter anderem für Proximity Consulting, DDB, Jung von Matt und Villeroy & Boch gearbeitet. An der Ruhr-Universität Bochum hat Andrea Kindermann Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, BWL und Psychologie studiert. Promoviert hat sie am Institut für Soziologie der Universität Hamburg.