Mit dem Research-Report der Page Society ist eines der wichtigsten Publikationen aus der Welt der PR erschienen. Wer beruflich mit Unternehmenskommunikation befasst ist, sollte ihn lesen, sagt Prof. Dr. Christopher Storck. Um den Zugang zu diesem wichtigen Diskursbeitrag zu erleichtern, hat er die zentralen Denkanstöße des Reports als „Quadriga-Impuls“ zusammengefasst.
Warum sollte den Research-Report lesen, wer beruflich mit Unternehmenskommunikation befasst ist? Die Bedeutung der Gesellschaft ergibt sich zum einen aus deren Mitgliedern: Chief Communication Officers (CCOs) führender Unternehmen aus der ganzen Welt. Seit 2007 hat die Gesellschaft alle paar Jahre ein Papier veröffentlicht, das der Weiterentwicklung der Profession bislang stets wichtige Impulse gegeben hat.
Diese Berichte sind das Ergebnis von Gesprächen, Diskussionen und Interviews mit zahlreichen CCOs, in einigen Jahren zusätzlich mit CEOs. Der aktuelle Report verzeichnet nicht weniger als 370 Inputs. Der letzte Bericht („The New CCO“) war 2016 den neuen Aufgaben nachgegangen, die sich aus der #Digitalisierung ergeben. Der Page Research Report 2019 („The CCO as Pacesetter“) beleuchtet die Anforderungen, die aus der Transformation resultieren.
Hier die zentralen Erkenntnisse:
Unternehmen, die mit Disruption konfrontiert sind, müssen ihren Unternehmenscharakter – ihre einzigartige, differenzierende Identität – wiederbeleben oder neu definieren. Die Unternehmenskommunikation hat dafür drei entscheidende Hebel: Marke, Kultur und gesellschaftlicher Beitrag. Zur effektiven Bedienung dieser Hebel braucht es perspektivisch Daten und digitale Tools, um Stakeholder auch jenseits der Kunden individuell anzusprechen und deren Kooperation zu bewirken.
Markenführung
Unternehmenskommunikation passt die Markenführung an die Bedingungen der Transformation an.
Das ist mehr als eine Erweiterung des Arbeitsumfangs oder in einigen Fällen die Übertragung von Verantwortlichkeiten von Chief Marketing Officers (CMOs), die seit jeher eine „eigene“ Marke haben. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich die Praxis der Unternehmens- und Master-Markenverantwortung weiterentwickelt. CMOs verwalten die Marke überwiegend für einen einzigen Interessenvertreter: den Kunden. Die Brand Equity ist daher traditionell mit Attributen und Differenzierungsmerkmalen ausgestattet, die Wahrnehmung und Verhalten der Käufer prägen sollen.
Doch die CEOs verändern heute ihre Unternehmen nicht nur, um aktuelle und potenzielle Kunden zu bedienen, sondern auch, um den sich ändernden Erwartungen von Mitarbeitern, Investoren, Regierungen und der breiten Öffentlichkeit gerecht zu werden. Dazu bedarf es einer Multi-Stakeholder-Perspektive, der Wertschätzung der neuen Reputationstreiber, einer Verknüpfung mit den Kulturwandel-Initiativen des Unternehmens und in vielen Fällen eines grundlegenden Umdenkens über die Bedeutung der Marke.
Damit wächst Markenführung endgültig über die Durchsetzung visueller Design-Standards und die Kommunikation statischer „Narrative“ im Unternehmen hinaus. Nun braucht es Systeme und Werkzeuge, um sicherzustellen, dass die tatsächlichen Erfahrungen, die alle Stakeholder mit einem Unternehmen machen, konsequent „on brand“ sind. Das gilt vor allem in „Momenten der Wahrheit – und zu denen kommt es in der Transformation ständig.
Kulturwandel
Die Unternehmenskommunikation muss zur treibenden Kraft des Kulturwandels werden, den Unternehmen brauchen, um Disruption zu überleben.
CEOs sagen seit Jahren, dass Kultur ganz oben auf ihrer Transformationsagenda steht. Ein neues Geschäftsdesign erfordert, dass die Mitarbeiter über neue Fähigkeiten verfügen, unterschiedliche Verhaltensweisen und Denkweisen aufweisen und auf unterschiedliche Weise arbeiten. Die Unternehmen, die sich als Gewinner der Digitalisierung abzeichnen, erhöhen ihre Innovations- und Erkenntnisgeschwindigkeit, lernen ständig, treffen Entscheidungen auf der Grundlage von Daten und sind WIRKLICH kundenorientiert und agil.
Moderne Unternehmen meiden bzw. reduzieren Hierarchie, leben von Vielfalt in jeder Dimension und tragen authentisch zur Gesellschaft bei. Die Kommunikationsabteilungen dieser Unternehmen arbeiten verstärkt daran, solche Kulturen zu etablieren oder zu erweitern. Sie gehen über die traditionellen Praktiken der Mitarbeiterkommunikation, über Storytelling und interne Kommunikationskampagnen hinaus.
Sie arbeiten mit der Personalabteilung und dem Vorstand zusammen, um die (Rück-) Verstärkung, Rituale, Schulungen, Werkzeuge und Systeme bereitzustellen, die die neue Kultur ermöglichen. Sie helfen, die Lücke zwischen Marke und Erlebnis, zwischen Anspruch und Realität zu schließen.
Gesellschaftliche Wertschöpfung
Der Unternehmenskommunikation kommt ferner eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Wertschöpfung von Unternehmen zu definieren und erkennbar zu machen. Stakeholder erwarten von Unternehmen zunehmend, dass sie nicht nur Wert für Kunden- und Aktionäre schaffen, sondern auch für Gesellschaften.
Diese Forderungen kommen nicht nur von zivilgesellschaftlichen Akteuren, sondern auch von Kunden und zunehmend von Investoren. Letztere sind zunehmend auf langfristigen Wert ausgerichtet und wollen in Unternehmen investieren, deren Wertschöpfung nachhaltig ist. Die größten Anforderungen kommen jedoch von den Mitarbeitern, von denen viele heute Karriereentscheidungen auf der Grundlage ihrer Möglichkeiten treffen, einen sinnvollen, positiven Wandel in der Gesellschaft zu bewirken.
Aufgrund ihrer breiten Stakeholdersicht tragen Kommunikationsfunktionen maßgeblich dazu bei, den Unternehmenszweck zu überdenken, indem sie sich auf den gesellschaftlichen Wert konzentrieren und Veränderungen in der Geschäftsstrategie vorantreiben. Alle Stakeholder-Perspektiven in Betracht zu ziehen, ist unverzichtbar für Unternehmen, die gesellschaftliche Wertschöpfung zu einem integralen Bestandteil der Geschäftsmodelle machen wollen.
Somit wird es zur Aufgabe der Kommunikationsfunktion sicherzustellen, dass das gesellschaftliche Werteversprechen in die Produkte und Dienstleistungen, die Richtlinien und Prozesse des Unternehmens und das tatsächliche Verhalten seiner Mitarbeiter integriert wird.
Kommunikationstechnologie
Kommunikationsfunktionen müssen in Technologie und Talent investieren, um agiler, digitaler, daten- und analysegestützter zu werden.
Um das vorgenannte Leistungsspektrum in einer von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt gewährleisten zu können, müssen Kommunikatoren dazulernen. Bislang haben Kommunikationsabteilungen digitale Fähigkeiten vor allem für die Produktion und Verbreitung digitaler Inhalte sowie für die Analyse traditioneller und sozialer Medien entwickelt. Jetzt ergänzen die auf dem Gebiet der Unternehmenskommunikation führenden Unternehmen diese Sende- und Empfangsfunktionen. Sie beginnen, die Methoden und Werkzeuge dessen, was der Marketing-Bereich MarTech oder Performance Marketing nennt, auf die Kommunikation mit Stakeholdern jenseits der Kunden zu übertragen.
Ziel ist, auch diese Akteure digital zu erreichen, sie individuell und unvermittelt anzusprechen, um sie zu strategiekonformem Handeln zu bewegen. Denn neben dem Zugang zu finanziellen Ressourcen via Kapital- und Absatzmärkten, geht es auch um die nachhaltige Versorgung mit personellen, intellektuellen, natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen, worüber andere Stakeholder als Besitzer, Gatekeeper und Influencer entscheiden.
Im Falle von MarTech ist die gewünschte Aktion in der Regel eine Kaufentscheidung. #CommTech kann die kundenorientierte Arbeit unterstützen, aber die gleichen Teams und Tools können eingesetzt werden, um eine Vielzahl von Stakeholdern einzubeziehen: bestehende und potenzielle Mitarbeiter, Meinungsbildner, Investoren, Geschäftspartner, politische und gesellschaftliche Akteure. CommTech wird auch ein wesentlicher Mechanismus für die Abwehr von Angriffen auf die Reputation von Unternehmen werden, weil die Bedrohung durch maschinenverstärkte Fehlinformationen und Deepfakes wächst.
Fortschrittliche Kommunikationsfunktionen bauen deshalb spezialisierte Teams auf, trainieren diese auf agile Methoden und statten sie mit „Tech Stacks“ aus, die zunehmend automatisiert sein werden. Die Daten, die CommTech generieren soll, werden für Unternehmen unverzichtbar werden, um an den Beschaffungsmärkten für Geld, Personal, intellektuelles Vermögen, Rohstoffe, Vorprodukte und Infrastruktur wettbewerbsfähig zu bleiben.
Fazit
Kommunikationsfunktionen müssen ihre Fähigkeiten erweitern, um sich stärker in die Transformationsprogramme ihrer Unternehmen einbringen zu können.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst auf der LinkedIn-Seite von Christopher Storck erschienen.
Prof. Dr. Christopher Storck ist Professor für Strategie und Kommunikationsmanagement an der Quadriga Hochschule Berlin.
Parallel dazu ist er Co-Head of Tech & Transformation bei Finsbury Glover Hering EuropePartner, einem der führenden globalen Beratungsunternehmen für strategische Kommunikation und Public Affairs. Zuvor und bis zum Zusammenschluss mit Finsbury war Christopher Storck in gleicher Position beim Beratungsunternehmen Hering Schuppener tätig. Er beschäftigt sich mit der Transformation von Unternehmen und den damit verbundenen neuen Anforderungen an deren Kommunikationsfunktionen. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit bilden die Formulierung und Kommunikation von Strategien, der Aufbau und Schutz wirtschaftlich relevanter Reputation sowie die Reorganisation und Weiterentwicklung von Kommunikationsabteilungen.
Prof. Storck arbeitet seit 2004 an der Schnittstelle zwischen Beratung, Forschung und Lehre, u.a. als Leitungskreis-Mitglied des Fachkreises Kommunikations-Controlling im Internationalen Controller Verein (ICV). Er ist ferner wissenschaftlicher Beirat des Bundesverbands der Kommunikatoren (BdKom). Von 2009 bis 2013 war er Vorsitzender des Arbeitskreises “Wertschöpfung durch Kommunikation” der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG).
Vor seinem Wechsel zu Hering Schuppener im Jahr 2000 war Storck Hochschulassistent an der Universität zu Köln und leitete die Redaktion eines Wissenschaftsmagazins für internationales und ethnisches Konfliktmanagement.
Prof. Storck ist zertifizierter Business Coach der EBS Universität für Wirtschaft & Recht in Wiesbaden und hat an der Universität zu Köln sowie der Univerzita Karlova in Prag Osteuropäische Geschichte, Philosophie und Slawistik studiert.